Zu einem überraschenden Ergebnis kamen zwei wissenschaftliche Untersuchungen: Frauen sind offenbar mit niedrigeren Einkommen zufriedener als Männer. Zudem meint die Mehrheit der befragten Frauen, ihnen stehe gerechterweise weniger zu als männlichen Kollegen. Die Studien von Wissenschaftlern des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), der Universität Konstanz und der Universität Bielefeld könnten die Debatte über Gehaltsunterschiede zwischen den Geschlechtern antreiben.
Die Wissenschaftler Stefan Liebig, Thomas Hinz und Jürgen Schupp befragten 10 000 Erwerbstätige, ob sie die Höhe ihres Einkommens für gerecht halten. Diejenigen, die andere Gehaltsvorstellungen hatten, konnten angeben, welches Entgelt sie angemessen fänden. Die Wissenschaftler waren von dem Resultat der Befragung überrascht. Offenbar entspricht der Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen einer Kluft in den Ansprüchen. In Deutschland verdienen Frauen im Durchschnitt 20 Prozent weniger als Männer. Das Einkommen, das Frauen für sich als gerecht beurteilen, liegt unter dem von Männern real bezogenen Entgelt, so Jürgen Schupp vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Ob bei Akademikerinnen, ob bei ungelernten Hilfskräften, stets fiele das gewünschte Gehalt niedriger aus als das Realgehalt gleichqualifizierter Männer.
In einer zweiten Untersuchung sollten die Befragten die Einkommen von fiktiven Persönlichkeiten beurteilen. Für einen 55-Jährigen Arzt mit überdurchschnittlichem Arbeitsengagement und vier Kindern hielten die Befragten ein Einkommen von 7750 Euro brutto für gerecht. Dagegen sprachen die Befragten einer Ärztin in identischer Lebenslage im Schnitt 7 300 Euro zu. Das Unerwartete: Selbst Frauen meinten, Frauen sollten weniger verdienen.
Die Ergebnisse der neuen Untersuchungen ermöglicht eine neue Sicht auf die Diskussion über die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen, die andere Studien bislang außer Acht lassen. Offenbar ist die Meinung, Arbeit von Frauen sei weniger wert, in der gesamten Gesellschaft verankert, ob bei Männern und Frauen, ob bei Angestellten und Unternehmen.
Bislang verstehen Wissenschaftler die Einkommenskluft meist als Diskriminierung der Frauen durch die Arbeitgeber. Sie haben viele unterschiedliche Faktoren herausgearbeitet, um die Gehaltsdifferenzen zwischen den Geschlechtern zu erklären: Ausbildung, Unterbrechungen der Berufstätigkeit, Branche und Unternehmensgröße.
Nach den neuen Untersuchungen ließe sich die Verantwortung für die Einkommensunterschiede den Frauen zu schieben – die Autoren der Studien lehnen diese These allerdings entschieden ab. „Die Einkommenskluft kann nicht durch persönliche Anstrengungen verringert werden“, entgegnet Jürgen Schupp vom DIW. Vielmehr sei mehr Transparenz bei den Gehältern erforderlich, damit die geschlechtsspezifischen Gehaltsunterschiede besser deutlich würden. Die meisten Befragten meinten nämlich auch, Frauen und Männer sollten bei gleicher beruflicher Qualifikation das gleiche verdienen. Sie waren sich nicht darüber bewusst, dass sie mit ihren Antworten der eigenen Auffassung widersprachen. |